36. Tage der deutschsprachigen Literatur

… dieses andere Sehen …
Gert Palliers Antworten zu den Gedichten Ingeborg Bachmanns

"So kann es auch nicht die Aufgabe des Schriftstellers sein, den Schmerz zu leugnen, seine Spuren zu verwischen, über ihn hinwegzutäuschen. Er muß ihn - im Gegenteil - wahrhaben und noch einmal, damit wir sehen können, wahrmachen. Denn wir wollen alle sehend werden. Und jener geheime Schmerz macht uns erst für die Erfahrung empfindlich und insbesondere für die der Wahrheit. Wir sagen sehr einfach und richtig, wenn wir in diesen Zustand kommen, den hellen Wehen, in denen der Schmerz fruchtbar wird: "Mir sind die Augen aufgegangen". Wir sagen das nicht, weil wir eine Sache oder einen Vorfall äußerlich wahrgenommen haben, sondern weil wir begreifen, was wir doch nicht sehen können. Und das sollte die Kunst zuwegebringen: daß uns in diesem Sinn die Augen aufgehen" (Ingeborg Bachmann)

Gedichte und gemalte Bilder haben sehr viel gemeinsam. Gert Pallier antwortet in seinen Bildern auf die Gedichte Ingeborg Bachmanns. Es sind innere Landschaften, die er mit Nähe und Distanz, mit Dichte und Leere sichtbar macht.

Abstrakte Bildwelten, die wie manche Gedichte Ingeborg Bachmanns, für jeden Leser, jeden Betrachter etwas anders bedeuten können. Einen ersten Hinweis, eine erste Koordinate für den Zugang zu dieser eigenwilligen Bilderwelt sind die sorgfältig ausgewählten Titel: "Das Gewebe der Luft", um nur ein Beispiel zu nennen. Dieser Zugang kann geschaffen werden, muss aber nicht. Andere Titel sind, wie die Gedichte, voller Geheimnis: "Der Regenmann". 

Die Gedichte in "Die gestundete Zeit" sind immer wieder voll dunkler Bilder, voll dräuender Ahnungen und doch noch nicht ganz ohne Hoffnung. Gert Palliers Bilder sind wirkliche Antworten, setzen gezielt Akzente und sind manchmal auch Widerrede. Es komme härtere Tage. Ja, das wissen wir, aber es könnten auch schöne Tage kommen. Es könnte wieder Licht werden nach dem langen Grau, nach der Schwere der vergangenen Tage. Lichtgelbe Rechtecke vor zartem Grau. Blau, nicht nur dunkles Blau, sondern auch helleres, luftigleichtes Blau. Rot, sehr rot, wenn es sein muss. Aber auch dieses Rot lässt noch Raum. Grün, zartes Grün. Ein Grün fast wie die Hoffnung. Eine mögliche Sicht der Bilderwelten Gert Palliers, meine.

Gedichte und abstrakte Bilder haben sehr viel gemeinsam. Vor allem muss man bereit sein, sich auf sie einzulassen, den Mut haben, diese fremde Welt zu betreten, sie zu erkunden, auf Neues und Unerwartetes zu stoßen, auch auf Verwirrendes, Irritierendes. Man muss diese Einladung zu einem anderen Sehen, einer ganz anderen Wahrnehmung annehmen.

So zahlreich wie die Künstler sind auch die Versuche der Annäherung. Gemalte Antworten sind sehr selten. Oft sind es Interpretationen oder gar nur Illustrationen, Bebilderungen. Gert Palliers Bilder sind gleichberechtigte Antworten auf die Gedichte Ingeborg Bachmanns. Begegnungen auf Augenhöhe, so hat der Fotograf Sepp Dreissinger das Entstehen seiner Fotos von Thomas Bernhard beschrieben.

Gert Pallier ist ein Künstler, den eigentlich nur seine Kunst interessiert, das Malen, Und auch das verbindet ihn mit Ingeborg Bachmann: "Meine Existenz ist eine andere, ich existiere nur, wenn ich schreibe, ich bin nichts, wenn ich nicht schreibe, ich bin mir selbst vollkommen fremd, aus mir herausgefallen, wenn ich nicht schreibe. (…) Es ist eine seltsame, absonderliche Art zu existieren (…)."

Michaela Monschein

Unterschrift Pallier Gert