PALLIER - Von einem, der auszog, die Kunst im Moor zu entdecken

Einzigartige Lichtverhältnisse, schaurig-schöne Stimmungen und die besonderen Farben eines Moores veranlassen schon seit dem 18. Jahrhundert Künstler dazu, dieses Thema ästhetisch zu bearbeiten. Das Moor ist Vorlage für unzählige Werke berühmter Regisseure, Dichter und Maler.

So beschäftigen Moore Gert Pallier ebenfalls schon seit Jahren. Zuerst sind es die Moore in seiner Umgebung, die er durchstreift. Das Bleistätter Moor, das Debarmoor werden von ihm in vielen Zeichnungen festgehalten. Bald kennt er hier jeden Stein und jeden Strauch, er weitet seine Streifzüge ins Sablatnigmoor aus, ein Naturschutzgebiet in der Größe von 100 ha im Süden von Kärnten. Hier zeigt sich die Natur in verschwenderischer Vielfalt. Es gibt über 2000 Arten von Pfl anzen und Tieren, Wasserlandschaften, Feuchtwiesen, Röhrichte, Sümpfe, Niedermoore und Erlenwälder; vom Rohrkolben bis zu seltenen Orchideenarten wächst hier alles. Das Sablatnigmoor ist auch ein bedeutendes Vogelschutzgebiet mit über 170 Vogelarten, der Eisvogel ist ein ständiger Bewohner des Moores; hinzu kommen dann Schmetterlinge, Käfer, Libellen und viele Froscharten. Das Maskottchen des Moores ist der während der Laichzeit himmelblau gefärbte Balkan-Moorfrosch.
Diese Kulisse vor Augen, ist dem Künstler kein Wetter zu schlecht und keine Jahreszeit ungeeignet um nicht mit Block, Stift und Farben loszuziehen. Da sieht man ihn sitzen im Winter, hingerissen von der sich bietenden Landschaft mit ihren blassen Tönen und einer bleichen Sonne, der die Kraft zum Strahlen noch fehlt, dem Ganzen aber Glanz verleiht. Die Kälte kann ihm nichts anhaben, und erst zu Hause bemerkt er die Frostbeulen an den Händen. Im Sommer bietet sich ihm an gleicher Stelle ein völlig anderes Bild. Vor Hitze flirrendes Licht, ein modriger Geruch überlagert das Moor, macht die Sinne schläfrig, Insekten schwirren unermüdlich um ihn herum. Satte, intensive Farben aber beflügeln die Fantasie und besiegen die bleierne Müdigkeit.

In solchen Momenten überschlagen sich die Bilder in seinem Kopf, schnell muss es nun gehen, nur schnell bevor die Eindrücke zerspringen. Gert Pallier ist kein Maler, der seine Kompositionen schon bis ins Detail vorbereitet mitbringt. Seine Landschaften sind „Kopfbilder“, sie entstehen spontan, und es folgt ein zähes Ringen, um diese Willkür einer Ordnung zu unterwerfen. Dann kämpfen in ihm der Zeichner und der Maler. Die Linien rufen die Farben zur Ordnung, sie sind die Mahner, die Bewahrer, die keine Ausuferung erlauben und zur Demut vor der Natur aufrufen. Die Farben hingegen sind ohne Rand und Band, sie stehen für Lebenslust, Optimismus und schöpferische Kreativität.
Während Kant der Meinung war, dass wir die Dinge nur in den Grenzen unserer Wahrnehmungsfähigkeit sehen, ist es die Sehnsucht Palliers, das Geistige unmittelbar zu sehen. Seit Jahren beschreitet er immer neue Wege, die ihn diesem Ziel näher bringen sollen, die Suche nach den Dingen hinter den Dingen.

Gert Pallier ist überzeugt, dass es dabei hauptsächlich auf das richtige Sehen ankomme, nur die bewusste Suche nach dem Gleichgewicht zwischen poetischer und rationaler Welt, zwischen kreativem Erleben und kritischer Fragestellung könne dann zu einer neuen Sehweise führen. Moore sind für ihn „die Urlandschaft schlechthin, unverfälscht im Gegensatz zur Kulturlandschaft“. Das Moor bietet ihm die nötige Ruhe, es führt ihn zu den eigenen Wurzeln zurück. „Wir kommen aus der Erde und gehen wieder dahin zurück, das fühle ich instinktiv im Moor. Die Konzentration auf meine innere Welt fällt mir in dieser Umgebung leichter.“

Bilder, die im Sablatnigmoor entstanden sind, tragen die Natur in sich, Pallier reichert seine Palette mit Pflanzenfarben, Moorschlamm, Waldfrüchten und Algen an. Werke von großer Ausdruckskraft, transparente, hingehauchte, pastellfarbige Aquarelle und Gouachearbeiten erzählen vom Winter und Frühling im Moor. Die Zeichnung rückt in den Vordergrund. Der Winter ist in den Arbeiten von Gert Pallier die Zeit, in der die Linien nicht unmittelbar von der Architektur der Landschaft bestimmt sind, sondern von Reduk tion. Vor allem in Verbindung mit Schnee kommen die grafi schen Strukturen deutlicher zum Tragen als bei Bildern des Sommers. Die wenigen verbleibenden Farben sind umso eindringlicher, vor allem Braun, Blau und Schwarz in vielen Schattierungen. Pastellkreide wird von ihm in der kalten Jahreszeit schon deshalb öfter eingesetzt, weil Farbe und Wasser bei Minusgraden zu schnell gefrieren; außerdem verlange Schnee geradezu nach Zeichnung und Grafik, sagt der Künstler. Um die Moore des Südens mit denen des Nordens vergleichen zu können, zieht Gert Pallier im Spätsommer 2010 für mehrere Monate ins Hammeland bei Bremen. Die Landschaft des Hammelandes ist ein nächster Schritt auf der Suche nach neuen, künstlerischen Ausdrucksformen und dem Erforschen von Grenzbereichen. Die ehemalige Künstlerkolonie Worpswede, die 1884 von Fritz Mackensen gegründet wurde, hat schon vielen Künstlern bei der Arbeit zugesehen.

Dichter wie Rilke oder Droste-Hülshoff beschrieben Land und Moor, in zahlreichen Bildern berühmter MalerInnen spiegelt sich das Teufelsmoor in dem für die Landschaft so typischen hohen Himmel. Mit Bus, Mietwagen und Fahrrad erkundet er die neue Umgebung von außen nach innen. „Vordergründig scheinen Süd- und Nordmoor gleich zu sein, im Norden nur eben ohne Berge im Hintergrund, schaut man aber genauer hin, werden die unterschiedlichen Formen, Strukturen und Farben sichtbar.“ Aus diesem Grund ist es dem Künstler so wichtig, immer vor Ort zu sein, undenkbar für ihn, seine Bilder nur im Atelier nach Vorlagen aus Büchern oder Fotografi en zu malen. Nach den ersten Eindrücken sattelt er seine Materialien auf ein Fahrrad, sucht sich einen stillen Platz und beginnt zu zeichnen. Als er jedoch zu den Farben greift, merkt er, dass die gewohnten Farbtöne seiner Palette hier nicht ausreichen. Ein kleiner Laden in Worpswede beendet seine Suche. Die Farben, die er hier fi ndet, sind genau richtig, sie sind alt, aber wunderschön, noch in Porzellantöpfchen. Es entsteht ein neues, herrliches Rot, welches genau den Moospolstern gleicht, die sich wie ein roter Teppich durch das Moor ziehen. Neue Grüntöne und ein Blau mit dem schönen Namen „Neutrale Tinte“ kommen dazu. Die Farben scheinen ihm zuerst etwas fremd, aber als er im Moor in eine Pfütze schaut, spiegeln sich darin genau diese, von ihm bisher noch nie verwendeten Farbtöne.

Tag für Tag strampelt er nun durch das Hammeland, weder ein Radunfall noch widriges Wetter halten ihn der Arbeit fern. Anfangs geht es ihm ein wenig wie Rilke, der erste Eindrücke um 1900 mit dem Satz: „Ein grausiges Land, in dem ihr da lebt“ beschrieb, doch schon bald seine Einstellung änderte. In den ersten Wochen seines Aufenthaltes malt Pallier Bilder, die seinen Arbeiten im Sablatnigmoor noch ähnlich sind. Bald aber merkt er, dass sich sein Stil ändert und völlig andere Saiten in ihm erklingen. Die Arbeiten werden kraftvoller in Ausdruck und Farbe, der Aufbau verändert sich, alles wird flächiger. In einer Landschaft, auf deren Konturen man sich nicht verlassen kann, werden die Konturen seiner Bilder immer stärker und selbstbewusster.

Gerade hier, wo Nebelschwaden und Irrlichter den Geist trügerisch beeinfl ussen, zeichnen sich seine Werke durch besondere Klarheit aus. Er arbeitet nun wie besessen, Bild um Bild entsteht, zeichnen nur zeichnen, malen nur malen. Vor Wintereinbruch ist es dann geschaff t, müde und völlig ausgebrannt machte er sich auf den Weg in den Süden, nach Kärnten. Im Feldkirchner Atelier werden die noch frischen Eindrücke und Erfahrungen auf großformatige Leinwände gebannt. Ein neuer Moorzyklus findet so seinen Abschluss. Wenn er abends abgekämpft – Pallier malt alle seine Leinwände in Temperatechnik auf dem Boden knieend – sein Atelier zusperrt, erinnert er sich wieder an einen Satz von Rilke aus dessen Worpsweder Zeit: „Es ist so vieles nicht gemalt worden, vielleicht alles. Und die Landschaft liegt unverbraucht da wie am ersten Tag.“

Ingrid Schnitzer
Universität Augsburg

Unterschrift Pallier Gert