METAMORPHOSE

Lieber Gert!

Du hast mich mit deiner Bitte, über dich und deine künstlerische Arbeit einen Text zu verfassen, vor eine schwierige Aufgabe gestellt. Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich ein Künstler über die Arbeit eines anderen nicht äußern soll, jedoch betrachtet jemand, der selber bildnerisch tätig ist, das Werk eines Kollegen vielleicht mit etwas anderen Augen.

Ich kann mir vorstellen, dass du der Meinung warst, genau das könnte ja interessant sein. So ist diese Reflexion ein Versuch, aus der eigenen künstlerischen Erfahrung, der von mir beobachtbaren „sogenannten Entwicklung der Malerei“ und einer Werklogik heraus zu schreiben.
Vor ungefähr zwanzig Jahren war ich verblüfft, in Kärnten Arbeiten von einem mir unbekannten Maler anzutreffen, welche eindeutig mit der Meisterklasse Malerei und Grafik von der Kunsthochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz zu tun hatten. Diese Meisterklasse wurde von Prof. Erich Ess geleitet. Neben Prof. Dietmar Brehm war einer meiner wichtigsten Lehrer Prof. Peter Kubovsky, und sein Einfluss war in diesen Arbeiten im positiven Sinne zu sehen.

Vereinfacht gesprochen kann man sagen, dass in dieser Linzer Meisterklasse zwei Traditionslinien der österreichischen bildenden Kunst wirksam waren. Erich Ess vertrat eine Position, welche er ab 1948 in der Auseinandersetzung mit der internationalen klassischen Moderne gewonnen hat,und Peter Kubovskys Kunst hatte ihre Wurzel in der Österreichischen expressiven Tradition eines Böckl, Colig, Dobrovsky oder Moldovan. Dazu brachte Dietmar Brehm Einsichten zur zeitgenössischen Kunst, welche zum Beispiel damals in New York aktuell waren, in die Meisterklasse ein. Erich Ess verlangte von uns Grundlagenarbeit, wie das sich Erarbeiten der künstlerischen Mittel in ihrer Anwendung. Die visuelle und intellektuelle Reflexion darüber war eine wichtige Basis der Ausbildung. Peter Kubovsky wollte von uns das Arbeiten aus dem Bauch heraus, nicht zu viel denken, vertrauen in die „sinnliche Intelligenz“, wie ich das heute nenne; - und Tätigsein ist eine Grundvoraussetzung um als Künstler weiterzukommen, - war seine Haltung.

Das aus meiner Sicht auch für die österreichische Kunstgeschichte Interessante war ihre gemeinsame Sicht auf die Praxis der Malerei. Vor über zwanzig Jahren hielten sie unbeirrt an der Vorstellung fest, dass die Malerei aus der Geschichte heraus auch eine Zukunft hat und das war nicht selbstverständlich. Im Aufkommen der modernen visuellen Medien in der bildenden Kunst, gerade, aber nicht nur in Linz, hat sich die Vorstellung, was ein Bild ist, vollkommen gewandelt, und die Malerei wurde nach den „Neuen Wilden“ zum x-ten Male für tot erklärt. Die Einsicht der Moderne, dass Bildwerke aus der Eigengesetzlichkeit heraus wirken und nicht aus dem optisch vordergründig erkennbaren Thema, diese Erkenntnis zu vermitteln, war die große Leistung in dieser Meisterklasse. Genau genommen ist das, was die Kunst ausmacht, seit 40 000 Jahren immer dasselbe und das, was wir Entwicklung nennen, ist die Anwendung der „bildnerischen Mittel“ aus der Zeit heraus. Kunst ist durch die „Form“ in einem Werk da oder nicht. Picasso hat in diesem Sinne gemeint: „Es gibt keine alte oder neue Kunst, es gibt nur gute oder schlechte.“ Der Entwicklungsgedanke aus den Naturwissenschaften und der Technik auf die Malerei übertragen hat diese in ihre Einzelteile zerlegt, und irgendwann musste dann die „Fläche“ überschritten werden - was auch geschehen ist.

Das Spannende an den von mir nicht gekannten Arbeiten, die, wie ich später erfahren habe, von dir waren, war die Sichtbarkeit des Willens, das Gesehene „bildhaft“ ins Bild zu setzen.

Später, als ich dich persönlich kennen lernte, hast du mir den Zusammenhang mit Prof. Kubovsky bestätigt, und seit damals beobachte ich auch deine künstlerische Entfaltung. Ohne die Alten Meister nachzumachen, hast du im klassischen Sinne um die Malerei und Grafik gerungen. Dass es seine Zeit braucht, um zu einer Grammatik und Syntax der Malerei zu kommen, welche dir die Freiheit zur inhaltlichen Aussage ermöglicht, stand für dich nicht zur Debatte. Du hast dich einfach auf diesen zeitlich langen Weg über deine „sinnliche Intelligenz“ eingelassen.
Alle bildenden Künstler, die die Einsichten der Moderne nicht negieren, aber als Maler auch die Fläche nicht überschreiten wollen, haben die Möglichkeit, auf der Ebene jeden Splitters die unendlichen Variationen in dieser Heterarchie auszuschöpfen. Dein Kunstverständnis hat mit der anderen Möglichkeit, nämlich die Welten der Splitter zu einer neuen „Form“ der „Bild-Hierarchie“ zu fügen, zu tun. Damit bist du wieder bei dem klassischen Verständnis der Malerei, und es sind nicht die Schlechtesten, wie unter anderem Cezanne, Picasso, Klee oder Morandi, die solch eine bildnerische Idee für sich gefunden haben.

Diese Möglichkeit der Malerei, welche im 20. Jahrhundert auf einer neuen Erkenntnisbasis gründet, ist eine vollkommen andere, geistig - sinnliche Welt, als die der digitalen visuellen Medien. Von diesem Verständnis her gesehen ist ein Maler, der ein Foto abmalt, auch wenn der literarisch optische Inhalt eines Fotos intellektuell interessant ist, vielleicht ein guter Handwerker, jedoch sicher kein Maler. Dies ist dir aus deiner Arbeit heraus selbstverständlich, und daher ist es nicht verwunderlich, dass du dich künstlerisch nicht einfach aus einem naturalistischen Verständnis für die dich umgebende Welt bildnerisch begeistern kannst.

Deine serielle Arbeit der Vegetation im Garten zeigt, wie du es selber formuliert hast, „…Landschaft von innen nach außen“ – auf natürliche Weise „verkehrt“. Aus meiner Sicht ist dieses „verkehrt“ eine Grundvoraussetzung für Malerei. Erst wenn diese Umkehrung da ist, gibt es die Möglichkeit der Abstraktion im Sinne der Bildfläche. Wir Maler brauchen die Abstraktion, um Inhalt durch die Form darstellen zu können. Diese „dargestellte“ Realität ist dann nicht eine optisch naturalistische, welche mit jedem technischen Hilfsmittel besser erzeugt werden kann, nein – diese Realität ist eine geistige.

Deine „inneren Landschaften“ leben von diesem „Realitätsgehalt“. Dieser ist nicht so einfach zu verwirklichen wie ein handwerklich technisches Bild, welches immer gelingt. In der natürlichen Umkehrung liegt auch die Möglichkeit des Scheiterns. Darin sind auch die vielfältigen möglichen Lösungen begründet, die die bildnerischen Werke zu einem so großen Abenteuer machen.

Dieses Abenteuer kann durch alles, was Welt bedeutet, ausgelöst werden. Wie durch die Gedichte Pablo Nerudas, die dich tief berührt haben. Wenn dieses Innere zur Malerei drängt, um zur Welt zu kommen, ist es diese Notwendigkeit, die einen verführt, dieser Welt ein Bild gegenüberzustellen. Du hast auch gesagt, „mein wichtigstes Thema sei – innere Malerei“. Ich denke, wir teilen die Erfahrung, dass bei der bildnerischen Arbeit für den Geist diese Trennung von Innen und Außen nicht existiert. Was in der ganzen Bedeutungsfülle in der Sprache der Begriff ist, ist für den wirklichen Maler das Bild. Wenn, wie bei deinen Zyklen sichtbar, „deine“ gefundene Form zu „deinem“ Realitätsgehalt im Werk führt, passiert etwas ganz Geheimnisvolles. So wie Pablo Neruda im Wesen seiner Lyrik erscheint, wird in den Bildern „der Mensch“ sichtbar. Dieser Mensch heißt in diesem Falle - Gert Pallier.

Mag. Robert Trsek
Kunstuniversität für Gestaltung Linz

Unterschrift Pallier Gert